Jagdschein – Bezugsschein

Der Jagdschein hat zwei Bedeutungen: Die normale Bedeutung besagt, dass der Inhaber eines solchen Scheines nach bestandener Jägerprüfung zur Ausübung der Jagd berechtigt ist. Im übertragenen Sinn hat er jedoch eine völlig andere Bedeutung. Heute fast in Vergessenheit geraten, war noch vor 50, 60 Jahren das Ausstellen eines „Jagdscheins“ in unserer Gegend gebräuchlich.
Wer konnte einen solchen Schein erwerben?
Wenn in damaliger Zeit ein junger Mann von außerhalb im Dorf sich um ein Nachbarmädchen bewarb, so hieß es auf Plattdeutsch: Hei freit nao ehr. Von den Nachbarjungen wurde er bei seinen Besuchen beobachtet, wann er kam, wie lange er blieb und ob er mit dem Mädchen im Sofa saß. War er bereits mehrere Male dagewesen, verabredeten sich die Nachbarjungen, nahmen Schuhkreme, Schuhbürste, Papier und Schreibstift und einen großen Mehlsack mit.
Wenn nun die Gelegenheit günstig war, d. h., das Paar saß in der Stube gemeinsam im Sofa, schlichen sich die Nachbarjungen in die Stube, um dem Bewerber die Schuhe zu putzen (Plattdeutsch: „Fäute putzen“).
Dabei wurde ein Spruch aufgesagt:


„Dir zu Ehre, uns zum Nutzen
woll’n wir dir die Schuhe putzen,
nicht aus Missgunst oder Neid,
sondern aus Gefälligkeit!“

Ließ er es gewähren und zahlte ein kleines Entgelt, wurde ihm ein Jagdschein ausgestellt. Darin wurde dem Bewerber bescheinigt, das er von nun an ungehindert seine „Braut“ besuchen könne.
Sprang der Bewerber (auf Plattdeutsch „Freier“ genannt) aber auf und versuchte zu entkommen, wurde er ergriffen, und es wurde ihm der weitere Umgang mit dem Mädchen untersagt. Man war dann allgemein der Meinung, dass der Bewerber es nicht ehrlich mit dem Mädchen meinte.
Ließ dagegen der Bewerber das Putzen seiner Schuhe zu, weigerte sich aber, ein Entgelt trotz guten Zuredens zu entrichten, so wurde ihm mit dem „Mehlsack“ gedroht. Half auch das nicht, wurde er trotz heftiger Gegenwehr in den Sack gesteckt und mit einem starken Tau an einen verlässlichen Ast gehängt! Diese Tortur dauerte gewöhnlich so lange, bis er sich freikaufte. Noch schlimmer aber war der Spott, der ihn noch lange verfolgte.
In anderen Gegenden wurde statt des Jagdscheins ein „Bezugsschein“ ausgestellt. Dieser ist nicht zu verwechseln mit jenem Schein, der während des Krieges z. B. von den Behörden für Lebensmittel ausgestellt wurde.

Bernd Grieshop


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